Im Forschungsprojekt „Die Produktion von Weltwissen im Umbruch“ untersuchen wir, wie sich die Area und Global Studies in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren sowohl inhaltlich als auch strukturell verändert haben. Wir erarbeiten dafür eine Übersicht der institutionellen Landschaft sowie der Wissensproduktion in Deutschland finanzierter Zeitschriften- und Buchpublikationen. Unsere Datenerhebung und -auswertung erfolgt mit digitalen Methoden.

Projektbeschreibung

Über das Projekt

Die Welt wurde in den letzten 30 Jahren besonders intensiv vernetzt und durch die Mobilität von Menschen, Gütern, Kapital und kulturelle Muster, aber auch Viren „globalisiert“. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Wissensproduktion über eben jene Welt und ihre globalen Zusammenhänge. Das Forschungsprojekt „Die Produktion von Weltwissen im Umbruch“ untersucht diese Auswirkungen mit Blick auf Area Studies, Transregional Studies, Global Studies sowie verwandte Wissensfelder.

Mitte der 2000er Jahre diagnostizierten wissenschaftliche Akteure und staatliche Gremien in Deutschland ernsthafte strukturelle Defizite in den deutschen Regionalstudien, durch die ein nachhaltiger Verlust regionalwissenschaftlicher Expertise in Deutschland drohe. Empfohlen wurde insbesondere die Gründung disziplinenübergreifender, größerer und damit sichtbarerer Forschungszentren mit regionalem Schwerpunkt (siehe z.B.: Lackner et al. 1999; Wissenschaftsrat 2006a, 2006b; Freiburger Memorandum zur Zukunft der Regionalstudien in Deutschland am Beispiel ausgewählter Weltregionen 2005). Der Bund folgte den Empfehlungen und engagierte sich ab 2009 mit neuen Förderinitiativen für die Etablierung solcher Zentren und ähnlich ausgerichteter Netzwerke.

Die Ursachen der Krise waren nicht nur finanzieller oder struktureller Natur, sondern erklären sich vielmehr aus der Geschichte der betroffenen Forschungsfelder heraus. So wurde in den westeuropäischen Ländern traditionell alles Außereuropäische und später alles „Nicht-westliche“ in auf spezifische Regionen ausgerichteten Fächern erforscht. Bezeichnungen wie Afrikanistik, Orientalistik, Lateinamerika-Studien, Osteuropa-Studien oder Südostasien-Studien zeugen von dieser Wissensordnung. Sie entstanden in Europa als eigene Fächer im ausgehenden 18. Jahrhundert und spiegelten – wie alle wissenschaftlichen Disziplinen – das politische und gesellschaftliche Interesse ihrer Zeit wider. Die jeweiligen Regionen waren dabei in der Regel nur mit vergleichsweise hohem Aufwand erreichbar, was es leichter machte, sie als anders oder fremd wahrzunehmen. Zudem wurden die Regionalstudien als eine Art empirischer Zulieferer für die sogenannten Kerndisziplinen wie Geschichte, Soziologie oder Wirtschaftswissenschaften verstanden, deren spezifischer theoretischer Beitrag eher marginal erschien. Dem gegenüber sahen sich die Kerndisziplinen oft als die Fächer mit universellen und von räumlichen Zusammenhängen scheinbar losgelösten Forschungsfragen. Zweifel an den primär auf europäisch-westlichen Beobachtungen und Erfahrungen beruhenden Kategorien dieses Universalismus lassen sich allerdings als Unterströmung auch schon seit dem 18. Jahrhundert feststellen.

Dieses historisch gewachsene Verständnis von Regionalstudien und Kerndisziplinen musste ins Wanken geraten, je näher „die Welt“ im täglichen Erleben rückte. Spätestens ab dem Ende des Kalten Krieges und der damit einhergehenden Beschleunigung globaler Prozesse stellte sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, ob wir in Deutschland, wie im Westen generell, noch Wissen anstreben, das wir in der im Entstehen begriffenen multipolaren Weltordnung brauchen werden. Die althergebrachte Einteilung der Welt in Nordamerika und Europa als den unbestrittenen wissenschaftlichen Zentren auf der einen Seite und dem Rest der Welt, der erforscht wird und/oder von Nordamerika und Europa lernen kann, auf der anderen Seite, erwies sich zunehmend als das, was sie schon immer war: eine eurozentristische Sichtweise.

Gleichzeitig veränderte sich die Wissenschaft in Gänze unter dem Einfluss globaler Prozesse: Schon seit den 1980er Jahren und mit zunehmendem Tempo ab den 1990er Jahren wuchs die Anzahl internationaler Forschungs- und Lehrkooperationen und eine stetig wachsende Zahl von Studierenden und Forschenden nutzte neue Möglichkeiten zur akademischen Mobilität. Mit der wachsenden Leistungsfähigkeit des Internets und digitaler Technologien erlangten zudem Rankings, Publikationsdatenbanken und Indikatoren zur (scheinbar objektiven) Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Leistung immer größere Bedeutung. Aufgrund der großen Reputation der anglo-amerikanischen Hochschulsysteme existiert jedoch ein erheblicher Bias zugunsten englischsprachiger Publikations- und Reputationssysteme.

Das Forschungsprojekt widmet sich der Frage, wie sich Forschungsthemen und die Struktur der Disziplinen der deutschen Area Studies in Deutschland seit der Krisendiagnose Mitte der 2000er Jahre und der nachfolgenden Bundesförderung verändert haben. In welchem Ausmaß wurden die gewünschten Ziele von mehr Sichtbarkeit sowie interdisziplinärer und fakultätsübergreifender Zusammenarbeit erreicht?

Hinzu kommen in jüngerer Zeit drei große Herausforderungen, die auch für die Area Studies und damit das Weltwissen-Projekt zusätzliche Forschungsfragen aufwerfen: 1. In den Sozial- und Geisteswissenschaften wird an vielen Stellen an der Überwindung des de facto eurozentrischen Universalismus (ebenso wie vergleichbare Zentrismen in anderen Weltgegenden) und den Asymmetrien in der globalen Wissensproduktion gearbeitet. Gleichzeitig gibt es deutliche Anzeichen, dass die Marginalisierung nicht-westlichen Wissens dennoch eher noch zugenommen hat. 2. Der Klimawandel und knapper werdende Ressourcen zeigen die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit von Natur- und Geisteswissenschaften auf und es ist insgesamt ein Trend hin zu „Natur“ als Forschungsgegenstand zu beobachten. §. Digitalisierung, Datenproduktion und künstliche Intelligenz verlangen auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften nach neuen Wegen des Umgangs mit Daten in Bezug auf Erhebung, Archivierung, Austausch und Zusammenarbeit.

Unsere Studie zielt auf die Erfassung des Zustandes und der Entwicklung eines Wissensfeldes in Transformation (s.a. Middell 2013; Mielke und Hornidge 2017). Sie deckt den Zeitraum seit den frühen 2000er Jahren ab, den wir in drei Perioden unterteilt untersuchen: Wir untersuchen drei Zeitspannen, zunächst die Phase der Krisendebatte, dann die Periode des neuen Förderschemas und schließlich die Periode der fortgesetzten, aber heterogeneren Förderung: 2003-2008; 2009-2017; 2018- 2025.

Wir erarbeiten dafür eine Übersicht der institutionellen Landschaft sowie den Verbindungen deutscher Einrichtungen zu anderen Teilen der Welt. Dafür führen wir eine breite Datenerhebung und -auswertung durch und nutzen Quellen wie Onlineauftritte und Jahresberichte. Den oben beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen tragen wir Rechnung, indem wir den „intellektuellen Output“ der in Deutschland angesiedelten Area Studies und verwandter Wissensfelder bibliometrisch zu erfassen: Zeitschriften sowie Monographien eines ausgewählten Autoren-Samples. Mit entsprechenden Visualisierung werden wir das Forschungsfeld in seiner Leistungsfähigkeit und seinen Vernetzungen kartographieren. Unsere Ergebnisse diskutieren wir innerhalb der Fachcommunity.

Im Ergebnis werden sich jene intellektuellen und institutionellen Entwicklungen zeigen, die von Deutschland aus angestoßen wurden oder – dank Vernetzung – zu Quellen der Inspiration für das deutsche Wissenschaftssystem wurden. Die erhobenen Datensätze werden bei Publikationen der Projektergebnisse (im Sinne einer Überprüfbarkeit im Review-Prozess) mitgeteilt und mit Projektabschluss (im Sinne einer open data policy) zugänglich gemacht.

  • Freiburger Memorandum zur Zukunft der Regionalstudien in Deutschland am Beispiel ausgewählter Weltregionen (2005). www.wiko-berlin.de/institution/projekte-kooperationen/projekte/archiv/wege-des-wissens-transregionale-studien/schwerpunkt-area-studies/freiburger-tagungsbericht (19.07.2022).
  • Lackner, Michael; Werner, Michael: Area Studies im Auf- und Abwind des Kulturalismus? Werner Reimers Stiftung. Bad Homburg (Areas and Disciplines, 1). perspectivia.net/receive/pnet_mods_00000489 (05.09.2022).
  • Middell, Matthias (2013): Area Studies under the Global Condition Debates on Where to Go with Regional or Area Studies in Germany. In: Matthias Middell (Hg.): Self-reflexive Area Studies: Leipziger Universitätsverlag (Global History and International Studies, 5), 7-57.
  • Mielke, Katja; Hornidge, Anna-Katharina (Hg.) (2017): Area Studies at the Crossroads. New York: Palgrave Macmillan US.
  • Wissenschaftsrat (2006a): Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland (Drs. 7068-06). Mainz.
  • Wissenschaftsrat (2006b): Empfehlungen zu den Regionalstudien (area studies) in den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Drs. 7381-06). Mainz.

Projektleitung

Prof. Dr. Matthias Middell

Prof. Dr. Matthias Middell

Emil-Fuchs-Straße 1
04105 Leipzig

Projektbearbeitung

Dr. Carolina Rozo Higuera

Dr. Carolina Rozo Higuera

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Leipzig Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe)
Nikolaistraße 10, Raum 4.05
04109 Leipzig

Telefon: +49 341 97 - 37846

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Katharina Dube

Wiss. Mitarbeiterin

Leipzig Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe)
Nikolaistraße 10
04109 Leipzig

Telefon: +493419737846

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Dr. Kathleen Schlütter

Assoziierte Wissenschaftlerin

Leipzig Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe)
Nikolaistraße 6-10 (Strohsackpassage)
04109 Leipzig

Telefon: +49 341 97-37846

Neuigkeiten und Aktivitäten

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Präsentation von Katharina Dube: "Producing Planetary History? The Anthropocene, Transnational and Global in the World Knowledge Production of German Historical Sciences", at CrossArea Tagung "Entanglements of Scale and Spheres in History" in Bielefeld am 14. November 2025.

mehr über die Konferenz

Präsentation CrossArea 2025, 14.11.2025, Bielefeld

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Projektvorstellung und Roundtable "From Area Studies to World Knowledge?" auf dem 8. European Congress on World and Global History (ENIUGH) “Critical Global Histories: Methodological Reflections and Thematic Expansions” in Växjö, Schweden am 11. September 2025.

über den Kongress

Panel auf ENIUGH Kongress 2025, 11.09.2025, Växjö Schweden

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Unsere studentische Hilfskraft Katharina Dube ist Nachwuchswissenschaftlerin. Sie wird einige Aufgaben von Kathleen Schlütter übernehmen, die im Leipzig Science Network (LSN) die Geschäftsführung übernimmt. Sie bleibt dem Team bis Ende September erhalten. Glückwunsch an beide!

mehr zum LSN e.V.

Team: Nachwuchswissenschaftlerin & neuer Job, Juni 2025

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Vorstellung erster Projektergebnisse mit Diskussionsrunde zu den Regionalwissenschaften in Deutschland mit Rektorin Eva Inés Obergfell (Universität Leipzig): 24. Juni 2025, 18:00-19:30 Uhr im ReCentGlobe. Auf Deutsch mit Übersetzung auf Englisch. Weitere Infos über den Link

zu Programm und Anmeldung

Symposium “Quo vadis, Regionalstudien?”, 24.06.2025

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Im Interview "Krisen, Kooperationen, Künstliche Intelligenz – Die Regionalstudien im Umbruch" sprechen Carolina Rozo & Kathleen Schlütter über die zentralen Erkenntnisse aus dem Weltwissen-Projekt.

zum Interview

Interview mit Carolina Rozo & Kathleen Schlütter, 24.06.2025

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Von Carolina Rozo Higuera wurde am 11. April 2025 der folgende Artikel in der Fachzeitschrift "Information" veröffentlicht: "A Mixed-Method Approach for Domain Analysis in Interdisciplinary Fields Using Bibliometrics: The Case of Global Studies".

zum Artikel

Artikel in Fachzeitschrift "Information", 11.04.2025

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Wir freuen uns, Partner des Kompetenznetzwerks Bibliometrie (KB) geworden zu sein. Das KB ist das führenden Netzwerk für die Entwicklung bibliometrischer Tools in Deutschland.

Kompetenznetzwerk Bibliometrie

Partner im Kompetenznetzwerk Bibliometrie (KB)

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Von Carolina Rozo Higuera wurde am im September 2024 der folgende Artikel in der Fachzeitschrift "New Global Studies" veröffentlicht: "Topic Tendencies in Global Studies: Beyond the Boundaries of Regions and Disciplines in 30 Years of Publication Using Bibliometrics".

zum Artikel

Artikel in "New Global Studies", 19.09.2024

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Projektpräsentation “Mapping and Measuring Interdisciplinary Knowledge with New Approaches: The Example of Area Studies” im September 2024 auf 36. Jahreskonferenz Consortium of Higher Education Researchers (CHER) in Luxemburg.

über die Konferenz

Präsentation CHER Konferenz, 05.09.2024, Luxemburg

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zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Logo vom BMFTR, GERiT und Nodeogat
Logo der Förderinstitution "Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt", "GERiT – German Research Institutions", dem Informationsportal der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und "Nodegoat", eine…