Die Research Area 3 erforscht die Herausbildung, Durchsetzung und Verbreitung, Infragestellung und Diversifizierung von Epistemen in Geschichte und Gegenwart. Insbesondere Religionen haben in der Menschheitsgeschichte als Stifter kognitiver, normativer und expressiver Orientierung mit höchster gesellschaftlicher Verbindlichkeit fungiert und symbolische Sinnwelten geschaffen.
In der Moderne haben Nationalstaaten diese Funktion teilweise zu übernehmen versucht, mitunter gegen, aber auch mit den etablierten Religionsgemeinschaften und oft in Konkurrenz zu anderen säkularen Weltanschauungen, im kolonialen Kontext vielerorts in heftigen Konflikten mit etablierten Epistemen. Seit dem späten 20. Jahrhundert zeichnet sich auch infolge von Migration, digitaler Kommunikation und intensivierter kultureller Austauschprozesse und Dynamiken eine lokale Diversifikation und globale Diffusion von Epistemen ab, die nur noch teilweise mit traditioneller Religiosität, staatlichen Ideologien oder etablierten Wissens- und Werteordnungen assoziiert sind.
Die RA3 reagiert auf die Herausforderungen dieser neuen globalen Dynamik, indem sie Forschungen zu Systemen kognitiver, normativer und expressiver Orientierung – ausdrücklich auch in historischer und diachron vergleichender Perspektive – vorantreibt und zusammenführt, um diesbezügliche Wandlungsprozesse und Pfadabhängigkeiten identifizieren und beschreiben zu können. In der RA3 ist ein breites Fächerspektrum repräsentiert.
Dem Vorstand gehören Prof. Dr. Christoph Kleine (Religionswissenschaft) und Prof. Dr. Monika Wohlrab-Sahr (Kulturwissenschaften) als Sprecher:innen sowie Prof. Dr. Dmitri van den Bersselaar (Afrikastudien), Prof. Dr. Klaus Fitschen (Kirchengeschichte), Dr. Nikolas Broy (Religionswissenschaft), Dr. Silke Guelker (Kulturwissenschaften) und Johannes Duschka (KFG „Multiple Secularities“) an, im Rahmen seiner Tätigkeit in der KFG koordiniert letzterer die Aktivitäten der RA3.
Die Kolleg-Forschungsgruppe "Multiple Secularities – Beyond the West, beyond Modernities" (FOR 2344) ist das größte drittmittelfinanzierte Verbundprojekt in der RA3. Unter Bezug auf das in Leipzig entwickelte Konzept der Multiple Secularities werden die verschiedenen Konstellationen von Religiösem und Säkularem untersucht. „Säkularität“ bezeichnet dabei konzeptuelle und institutionelle Unterscheidungen religiöser und nichtreligiöser Sphären und Praktiken ohne deren wechselseitige Konstituierung aus dem Blick zu verlieren. Die Arrangements von Säkularität werden sowohl für „westliche“ wie „nicht-westliche“, für moderne wie vormoderne Formen eingehend untersucht. Auch 2021 konnten trotz der pandemischen Lage insgesamt 17 internationale Fellows mit ihrer spezifischen Expertise in der KFG begrüßt werden. Zudem befindet sich ein 7-bändiges Sourcebook zu „Global Secularities“ in Vorbereitung. .
Forschungsverbünde und -projekte der Research Area 3
Die interdisziplinäre Kolleg-Forschungsgruppe (KFG) 2344 "Multiple Secularities – Beyond the West, Beyond Modernities" untersucht Arrangements der Unterscheidung zwischen religiösen und anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern, Deutungsrahmen, Institutionen und Diskursen in verschiedenen Epochen und Regionen. Solche oft umstrittenen Arrangements bezeichnen wir mit dem heuristischen Arbeitsbegriff "Säkularitäten". Die KFG wird seit 2015 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
Das Forschungsprojekt befasst sich mit den Auswirkungen politischer Veränderungen in der Türkei auf die Familien- und Jugendpolitik. Es fokussiert auf die von der AKP-Partei vorangetriebenen Reformen in diesen Bereichen, die als Kernstücke der türkischen religionspolitischen Auseinandersetzungen gelten. Die Untersuchung zielt darauf ab, zu analysieren, wie diese Politiken im öffentlichen Diskurs dargestellt und umgesetzt werden, welche Rolle Religion dabei spielt und wie sie das politische und soziale Leben der türkischen Bevölkerung beeinflussen. Mittels AKP-Diskursanalysen, Fokusgruppeninterviews mit NGOs und Gruppendiskussionen in verschiedenen gesellschaftlichen Milieus soll ergründet werden, welche politischen Subjekte durch diese Politik gefördert werden sollen und wie religiöse sowie säkulare Einstellungen in den Alltagslebenswelten der Menschen miteinander interagieren.
Leitung: Prof. Dr. Markus Dreßler
Mittelgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft
Der Forschungsverbund analysiert die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung in Deutschland, die durch gegenseitige Ablehnung verschiedener sozialer Gruppen und damit einhergehende Bedrohungswahrnehmungen charakterisiert ist. Ein Schwerpunkt liegt auf der Rolle, die die Angst vor radikalem Islam spielt und wie diese zu einer gegenseitigen Radikalisierungsspirale, insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, führt. Es wird untersucht, wie junge Musliminnen in konservativ-religiöse Gruppen abdriften, die Radikalisierungspotenzial bergen, während gleichzeitig in Teilen der nichtmuslimischen Bevölkerung eine Radikalisierung hin zum Rechtsextremismus beobachtet wird, die wiederum eine Radikalisierung im linken Spektrum begünstigt. Das inter- und transdisziplinäre Projekt zielt darauf ab, bisher unverbundene gesellschaftliche Faktoren dieser Radikalisierungsdynamik zu erforschen und auf Basis der Ergebnisse Präventionsansätze für den Bildungsbereich zu entwickeln. Die Kernfrage ist, welche kollektiven Interventionsstrategien zur Verhinderung von Radikalisierung und Co-Radikalisierung bei jungen Musliminnen und Nicht-Muslim*innen ermittelt werden können.
Leitung (am Standort Leipzig): Prof. Dr. Oliver Decker, Prof. Dr. Gert Pickel, Prof. Dr. Immo Fritsche,
Laufzeit: 09/2020–12/2024
Mittelgeber: BMBF
Khyentse Zentrum für kontemplative Traditionen
In den letzten Jahren haben Achtsamkeitspraktiken einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung von Resilienz, den Abbau von Stress und die Förderung von emotionalen und sozialen Kompetenzen in verschiedenen Lebensbereichen gezeigt. Die Ursprünge dieser Praktiken sind meist in den kontemplativen Traditionen des Buddhismus verwurzelt. In unserem Projekt sollen die wechselseitigen Transferprozesse zwischen Traditionen und Kulturen untersucht werden. Wir widmen uns dabei nicht nur Textquellen alter Traditionen, sondern auch subjektiven, transformativen Erfahrungsberichten von Praktizierenden.
Leitung: Prof. Dr. Jowita Kramer
Mittelgeber: Khyentse Foundation
Publikationen
Einblicke
Im Global Dynamics Blog stellen ReCentGlobe-Wissenschaftler:innen ihre Expertise zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten zur Verfügung.
Die Religiöse Dimension des Ukraine-Kriegs von Dr. Sebastian Rimestad
Religion in der Covid-19 Pandemie Dr. Alexander Yendell im Gespräch mit Prof. Dr. Oliver Hidalgo
In einer neuen Studie haben sich Oliver Hidalgo (Münster) und Alexander Yendell (Leipzig) mit der Rolle religiöser Akteure in der COVID-19-Pandemie auseinandergesetzt. Im Gespräch erzählen sie von den Ergebnissen und der Hoffnung, dass gerade Angehörige von Religionsgemeinschaften bei der Bewältigung der Krise eine konstruktive Rolle einnehmen.
Has Confucius Won the Corona War? Prof. Dr. Christoph Kleine
Can Cultural Imprints Account for Success and Failure in Coping with the Pandemic? When Western observes comment upon the astonishing success of the People’s Republic of China in fighting the pandemic, they are often quick to offer explanations: one can hardly trust the official figures, and even if they should be correct, China is a repressive surveillance state that knows everything about its citizens and has no scruples about massively restricting individual freedoms and fundamental rights. Shame about the inability of Western societies to cope with the pandemic is thus turned into a narrative of moral superiority.
Mit ihrem Bulletin gibt die Kolleg-Forschungsgruppe "Multiple Secularites" regelmäßig Einblicke in ihre Forschung.