In Ihrem Forschungsprojekt zeigen Sie, wie sich deutsche Area Studies seit den frühen 2000ern verändert haben – durch neue Zentren, Förderlinien und Kooperationen. Welche Veränderungen in der institutionellen Landschaft und thematischen Ausrichtung erscheinen Ihnen im Rückblick besonders einschneidend – und warum?
Kathleen Schlütter (KS): Anfang der 2000er Jahre durchlebten die deutschen Regionalstudien eine einschneidende Krise. Sie galten als wenig wettbewerbsfähig, als untereinander und international vergleichsweise isoliert und in ihren Forschungsthemen als randständig. Das wurde in den jeweiligen Fachcommunitys adressiert und der Wissenschaftsrat empfahl 2006 grundlegende Reformen.[1] 2008 hat das BMFTR, damals noch das BMBF, dann erstmals Förderprogramme speziell für die Regionalstudien aufgelegt. Parallel wurde unter dem Eindruck der sich beschleunigenden Globalisierungsprozesse klar, dass es nicht mehr reicht, eine einzelne Region konzentriert zu erforschen, sondern dass auch ihre Verflechtung mit anderen Regionen und in Bezug auf globale Herausforderungen in den Blick genommen werden muss, z.B. das Anthropozän, globale Gesundheitsfragen oder die Weltwirtschaft. Für diesen Paradigmenwechsel in der Untersuchung von Weltregionen hat sich bisher keine feste Terminologie etabliert. „Regionalstudien“ bezieht sich letztlich auf Konzepte des 18. und 19. Jahrhunderts, als man von Europa räumlich weit entfernte Orte erforschte. Diese Zeiten, inklusive der Annahme von einem „Westen“ auf der einen Seite und einem zu erforschenden „Außereuropa“ auf der anderen, sind heute überholt. Wir schlagen vor, stattdessen vorläufig von „Weltwissen“ zu sprechen.
In unserem Projekt haben wir beides, die strukturellen und die inhaltlichen Veränderungen, vor diesem Hintergrund untersucht. Unsere Kartierung der deutschen Produktion von Weltwissen zeigt: Wir schauen heute auf eine vielfältige und lebendige Wissenschaftslandschaft. An 74 Standorten wird weltregional gearbeitet, über 500 neue Professuren sind deutschlandweit entstanden, sowie über 80 neue interdisziplinäre Forschungszentren an den Universitäten. Dabei wird in vielen Disziplinen, vor allem der Geschichte und den Kulturwissenschaften, aber auch z.B. in der Politikwissenschaft, den Wirtschaftswissenschaften oder den Bildungswissenschaften weltregional gearbeitet, ohne dass der Titel oder die institutionelle Zugehörigkeit dies unmittelbar verrät. Insofern plädieren wir dafür, stärker auf Inhalte als auf die Etikettierung oder disziplinäre Verankerung zu schauen. Wir konnten zudem zeigen, dass Wissenschaftler:innen, die zu Weltregionen oder global vergleichend arbeiten, mehr Projekte mit internationalen Partnern durchführen als der Durchschnitt der deutschen Wissenschaft. Insofern gehören sie heute mehr denn je zu den Internationalisierer:innen an ihren jeweiligen Heimateinrichtungen.
Carolina Rozo Higuera (CRH): In den Fachzeitschriften, die die deutsche Wissenschaft zu weltregionalen Themen selbst herausgibt, hat sich in unserer Auswertung der Jahre 1990 bis 2024 gezeigt, dass bestimmte Themen, wie die Weltkriege oder Demokratisierungsprozesse und ihre Folgen, immer präsent bleiben und bearbeitet werden. Ab den 2000er Jahren sehen wir aber, dass zunehmend auch Fragen bearbeitet werden, die über die ursprünglich geistes- oder sozialwissenschaftliche Thematik hinaus auch andere Bereiche wie die Naturwissenschaften oder die Biomedizin einbeziehen. Hier kann man die Entstehung neuer Wissensfelder beobachten. Dies ist angesichts aktueller Herausforderungen wie exzessiver Ressourcenverbrauch, Klimakrise, COVID-Pandemie usw. nachvollziehbar. Dabei werden diese Themen trotzdem für jede Region unterschiedlich ausdekliniert. Beispielsweise behandeln verschiedene Regionen die Frage der Landnutzung und des Landbesitzes. Angesichts der historischen, traditionellen und kulturellen Unterschiede offenbart jede Region jedoch Spannungen und Nutzungsformen aus verschiedenen Disziplinen und durch die Untersuchung unterschiedlicher Akteure – von Regierungsbeamten bis hin zu Landwirten.
Trotz erhöhter Förderung bleiben Regionalstudien oft am Rande von Forschungspolitik und Karrierewegen. Was verraten Ihre Daten – bibliometrisch, institutionell, auf Netzwerkebene – über die tatsächliche Reichweite und Wirksamkeit der Regionalwissenschaften heute?
KS: Die vergleichsweise geringe Sichtbarkeit der klassischen Regionalstudien im Sinne einer spezifischen Untersuchungsregion hängt zu großen Teilen mit ihrer Interdisziplinarität und ihrem Untersuchungsgegenstand zusammen. Unsere Metriken, um wissenschaftliche Leistung zu messen, basieren auf den in Europa entstandenen Disziplinen. Dabei tun wir uns gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften schwer damit, die Disziplinengrenzen zu öffnen. Klassischerweise spielte es in der europäischen Geschichtswissenschaft, der Politikwissenschaft oder der Soziologie eher eine nebensächliche Rolle, was „in der Welt“ passierte. Der Fokus lag auf Europa, später auch auf dem, was man als „Westen“ oder „Globaler Norden“ bezeichnen könnte. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Forscher:innen vor Ort in Afrika oder Asien sammelten, wurden höchstens als Dateninput behandelt. Hinzu tritt der Aspekt der Verflechtung von kolonialen Eroberungszügen und wissenschaftlichem Ehrgeiz – oft gepaart mit Rassismus. Dieses problematische Erbe wurde und wird aus meiner Sicht aber in den Regionalstudien selbstkritisch aufgearbeitet. Dennoch existiert die Trennung zwischen Regionalstudien und Fachdisziplinen bis heute, insbesondere in den Fachkollegien der DFG und beim Statistischen Bundesamt. Dies wirkt sich wiederum auf Stellenbewerbungen oder Fördermittelanträge aber auch statistische Erhebungen direkt aus. Aus unserer Sicht sollten wir nicht mehr in diesen Kategorien denken, sondern überlegen, wer zu welchem Thema arbeitet. Unser Projekt zeigt, dass Weltwissen in Deutschland an auf unterschiedlichste Weise erforscht wird, die Vernetzung in die Breite der Geistes- und Sozialwissenschaften, z.B. über Teilprojekte bei größeren Verbundprojekten, gegeben ist und –wie erwähnt– eine bemerkenswerte internationale Vernetzung besteht.
CRH: Wir haben über 70 Zeitschriften gefunden, die an deutschen Universitäten, Forschungseinrichtungen oder durch Fachgesellschaften herausgegeben werden. Allerdings ist ein Teil dieser Fachzeitschriften international kaum sichtbar. Manche Zeitschriften haben eine beeindruckende Tradition und erscheinen seit über 100 Jahren, sind aber nicht in den gängigen internationalen Datenbanken erfasst. Dies ist keine Frage der Qualität, da hier viele Aspekte eine Rolle spielen: Beispielsweise stehen Zeitschriften heute vor zahlreichen technischen Herausforderungen, wie dem Mangel an verfügbaren Metadaten, also jenen Daten, die die Suche und den Abruf von Inhalten ermöglichen. Wenn eine Zeitschrift in einer Datenbank auftaucht, heißt das nicht unbedingt, dass die Klassifizierung auch den Inhalt der Zeitschriften widerspiegeln. Wichtig ist auch zu bedenken, dass sich die Methoden und tools zur Wissensmessung nur auf bestimmte Quellen wie Artikel in Fachzeitschriften oder Patente konzentrieren. Für andere Inhalte mangelt es bisher an geeigneten Visualisierungstools. Dies liegt nicht an den Einschränkungen der Tools selbst, sondern an der Art und Weise, wie Wissensproduktionssysteme Wissen messen, nämlich hauptsächlich auf der Grundlage von Zeitschriften. Daher sind Daten zur Messung anderer Quellen wie Bücher sehr begrenzt. Dies stellt insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften ein Problem dar, in denen Bücher weiterhin ein wichtiges Medium zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen darstellen.
Ein weiterer Fokus des Projekts war, dass eurozentrische Wissensstrukturen trotz Globalisierung weiterhin prägend bleiben, sogar verschärft werden. Wo zeigen sich signifikante Fortschritte, und in welchen Bereichen existieren weiterhin tief verankerte Ungleichgewichte?
KS: Wir sehen, dass es in fast allen Disziplinen eine größere Öffnung für globale, transnationale oder weltregionale Zugänge gibt. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass etwa ein Drittel der Forschungsprojekte im Bereich der Produktion von Weltwissen transregionale Fragen bearbeiten – Tendenz steigend. Es zeigt sich auch in Professur-Neubesetzungen, bei denen sich Kandidat:innen mit weltregionalem Schwerpunkt durchsetzen, obwohl der oder die Vorgänger:in nur zu Deutschland gearbeitet hat. Ein weiterer Beleg ist die rege Gründung interdisziplinärer Forschungszentren.
In den Geistes-, besonders aber in den Sozialwissenschaften geht die Hinwendung zu transregionalen Fragen oder auch die Analyse von Weltregionen außerhalb des „Globalen Nordens“ nur langsam vonstatten, angesichts der tiefgreifenden geopolitischen Herausforderungen – meiner Ansicht nach – zu langsam. Zu oft scheint es ausreichend, sich vornehmlich auf den eigenen nationalen Kontext zu konzentrieren, ohne einzubeziehen, was in anderen Teilen der Welt wissenschaftlich passiert oder wo neue Forschungs- und Theorieansätze entstehen.
Unverändert kompliziert bleibt zudem der Zugang zu wissenschaftlichen Stellen für Nicht-Europäer:innen und insbesondere für Forscher:innen aus Ländern des „Globalen Südens“. Wer keinen klassischen wissenschaftlichen Werdegang nach deutscher Tradition mitbringen kann, hat es äußerst schwer. Wobei das in den meisten europäischen Ländern kaum anders ist. Die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz verschärft die existierenden Machtasymmetrien zusätzlich, denn diese Systeme werden mit Internetdaten trainiert, die zu 98 Prozent aus Text aus den zwölf am meisten verbreiteten Sprachen besteht, während es weltweit über 7.000 Sprachen gibt, und die eben nur in bestimmten Teilen der Welt publiziert wurden.[2]
CRH: Zunächst wurden in den Naturwissenschaften und den angewandten Wissenschaften Modelle zur Messung der Wissensproduktion entwickelt. Später wurden dieselben Systeme auf die Sozial- und Geisteswissenschaften ausgeweitet, wobei für die Geisteswissenschaften ähnliche Messparameter verwendet wurden. Offene Publikationssysteme und die Sprachfreiheit wurden daher durch für diese Disziplinen ungewohnte Publikationsstrukturen, die bevorzugte englische oder, falls vorhanden, französische Sprache sowie in diesen Disziplinen traditionell nicht vorgeschriebene Wort- oder Zeichenbeschränkungen eingeschränkt. Auch wenn es sinnvoller gewesen wäre, die Systeme an die Art der Inhalte anzupassen, gab die intellektuelle Gemeinschaft letztlich diesen Anforderungen nach und passte ihre Inhalte an diese Systeme an.
Es wäre möglich, „nicht-traditionelle“ Inhalte zu nutzen, um Wissen zu analysieren, beispielsweise Working Papers, Jahrbücher oder auch Inhalte, die nicht unbedingt aus Text bestehen. Doch dafür müssten die entsprechenden Portale und Repositorien entwickelt und gewollt werden. Sie könnten bestehende Datenbanken wie Ulrichsweb oder OpenAlex weiter ergänzen, die ja bereits Alternativen zu den dominanten Systemen von Web of Science und Sopus darstellen, und wären daher von großer Bedeutung.
Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Digitalisierung werden zunehmend als Ausgangspunkt regionalwissenschaftlicher Forschung diskutiert. Spielt das in den deutschen Area Studies eine Rolle?
KS: Elf bis zwölf Prozent der Institute, der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Professuren sowie 16 Prozent der Forschungszentren, die wir erfasst haben, beschäftigen sich mit Fragen des Anthropozäns, des Klimawandels und der Mensch-Natur-Beziehung. Das hat in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen.
Die Digitalisierung von Forschungsmethoden stellt für die deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt eine Herausforderung dar und für weltregional arbeitende Forschende noch einmal verstärkt. Zugespitzt formuliert: Hier wird ja in der Regel bereits mindestens eine Fremdsprache erlernt, man möchte möglichst mehrere Monate in der Untersuchungsregion verbringen und soll jetzt noch Programmieren lernen. Dafür muss im Studium, während der Promotion oder später beim wissenschaftlichen Arbeiten auch die Zeit sein. Wenn weltregional und digital gearbeitet wird, ist das hochspannend, weil etwa der Einsatz von geographischen Informationssystemen (GIS) oder die Analyse großer Textmengen neue Fragestellungen ermöglichen. Für die Produktion von Weltwissen ist es wichtig, dass sich die Forscher:innen mit den digitalen Methoden auseinandersetzen, sofern sie nicht erneut ins Hintertreffen geraten wollen. Bisher sind an den Instituten, Zentren oder außeruniversitären Einrichtungen datengetriebene Projekte, strukturiertes Datenmanagement, oder gar der Einsatz von Künstlicher Intelligenz als Methode bei Weitem kein Standard.
CRH: Viele Forschungsthemen verändern sich auch vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und werden in neue Zusammenhänge gebracht. Beispielsweise wurde das Thema Sprache in den 1990er und 2000er Jahren vor allem in Verbindung mit Erinnerung, Identität oder Nationalismus erforscht. In den letzten Jahren sehen wir, dass das Interesse am Thema Sprache eher mit Widerstand und Aktivismus verbunden ist. Obwohl Sprache weiterhin eng mit Identität verknüpft ist, ist sie eine Identität, die sich ständig verändert, in Frage gestellt und bedroht wird.
Ihre Arbeit kombiniert bibliometrische Analyse mit institutionell-narrativen Zugängen. Welche Lehren lassen sich daraus für die weitere Professionalisierung der Area Studies in Deutschland ziehen – vor allem im Hinblick auf Open Data, Monitoring und Fachstrukturen?
KS: Wir plädieren dafür, Wissen nicht mehr (nur) in disziplinären Kategorien zu messen, sondern nach Inhalten. Durch die Möglichkeiten zur digitalen Auswertung großer Textmengen können wir inhaltliche Verknüpfungen und das Entstehen neuer Wissensfelder sichtbar machen. Unsere Analyse zeigt, dass ein großes Forschungsfeld vollkommen aus dem Blick gerät, weil es in hermetisch getrennten Disziplinen erforscht oder als „Kleine Fächer“ abgewertet wird. Das ist problematisch, denn die Produktion von Weltwissen bleibt in den zunehmend ausgefeilten Metriken, auf deren Grundlage viele Förder- und Strategieentscheidungen gefällt werden, kaum sichtbar. Die Wissenschaftler:innen, die weltregional arbeiten, sollten dies ernst nehmen und müssen lernen, damit umzugehen. Eine Möglichkeit wäre, sich stärker für eigene Metriken einzusetzen, die ihren Methoden und Ergebnissen Rechnung tragen.
CRH: Es hat sich auch gezeigt, dass die Daten von Organisation zu Organisation oft nicht interoperabel sind. Selbst in einer Zeit, in der Zusammenarbeit im Vordergrund steht, ist die Nutzung von Daten aus unterschiedlichen Quellen ohne technisches Fachwissen oft unmöglich. Das gilt zum Beispiel für die Bibliotheksdaten, mit denen wir für die Analyse von Büchern arbeiten.
Basierend auf Ihren Ergebnissen: Welche gezielten Empfehlungen würden Sie an Fördergeber, Universitäten und Fachcommunitys richten, um Regionalstudien nachhaltig zu stärken und institutionell zukunftsfähig zu machen?
KS: Das Förderprogramm des BMFTR speziell für die Regionalstudien war insgesamt sehr erfolgreich. 17 Forschungszentren in Deutschland konnten mithilfe der Förderung auf- oder ausgebaut und verstetigt werden, darunter auch das ReCentGlobe hier in Leipzig, das u.a. aus dem Centre for Area Studies entstanden ist. Mit den Merian Centres hat Deutschland zudem fünf geisteswissenschaftliche Leuchtturm-Einrichtungen auf drei Kontinenten etabliert, denen nun jedoch das Förderende droht. Die Käte Hamburger Kollegs haben etwa 2.000 internationale Wissenschaftler:innen nach Deutschland gebracht und zur Internationalisierung der Geistes- und Sozialwissenchaften beigetragen. Auch sie werden aktuell jedoch nicht mehr ausgeschrieben. Und auch die zahlreichen Einzel- und Netzwerkprojekte, die in diesem Rahmen momentan noch vom BMFTR gefördert werden, laufen ersatzlos aus.
Ich würde mir wünschen, dass das BMFTR auch anhand unserer Ergebnisse überlegt, welche Strategie sinnvoll wäre, um auf den Erfolg aufzubauen. Aktuell fehlen dazu die politischen Impulse. Für die Universitäten ist es wichtig, ihre weltregionale Expertise zu erhalten, indem sie sie zukunftsfähig ausrichten. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass sich nicht vorhersagen lässt, wann ein Experte oder eine Expertin für ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Weltregion gebraucht wird, – man denke nur an die Ukraine oder aktuell den Iran.
Wie sich einzelne Einrichtungen dabei aufstellen, kann je nach Standort vollkommen unterschiedlich aussehen. Unsere Studie zeigt, dass der Trend zu Institutsstrukturen geht, in denen mehrere Regionen gemeinsam und im transregionalen Vergleich sowie in ihren globalen Bezügen beforscht werden. Das scheint auch hinsichtlich der Entwicklung attraktiver Studienprogramme nachvollziehbar. Eine andere Strategie wäre, sich als Universität einen klaren weltregionalen Schwerpunkt zu geben, wie beispielsweise der Afrika-Schwerpunkt der Universität Bayreuth, dort die Region auch in ihren transregionalen und globalen Bezügen erforscht wird. Auch interdisziplinäre Zentren sind eine Variante, wenn sie von den Universitätsmitgliedern unterstützt werden und ihre Rolle als Netzwerkknoten und Mittler aktiv wahrnehmen können. Was unsere Studie außerdem gezeigt hat: Australien und Ozeanien sowie der gesamte pazifische Raum sind, ich würde sagen aus historisch-institutionellen Gründen, als Forschungsregion unterrepräsentiert. Gerade angesichts ihrer wachsenden geopolitischen Bedeutung, wäre es sicher eine Überlegung wert, ob die geistes- und sozialwissenschaftliche Förderung hier ausgebaut werden sollte.
CRH: Letztlich können Studien wie die unsere den Bundesländern und Fördermittelgebern helfen, die richtigen Fragen zu stellen. In Bezug auf die Fachzeitschriften also zum Beispiel: Warum gibt eine Redaktion ihre Zeitschrift auf? Gibt dies Anlass zur Sorge? Sind die Finanzierungsmöglichkeiten ausreichend, damit in akademischer Selbstverwaltung geführte Zeitschriften überhaupt eine Chance haben, die Kriterien für eine Indexierung in Datenbanken und damit für eine höhere Sichtbarkeit zu erfüllen? Ist sich die wissenschaftliche Gemeinschaft der Bedeutung von Online-Inhalten bewusst, um die Sichtbarkeit von Publikationen zu fördern? Wobei wir aber keine Interviews geführt oder Umfragen gemacht haben, also nur bedingt sagen können, wie Wissenschaftler:innen selbst die Situation und ihre Entwicklung bewerten.
Gerade Leipzig hat eine lange Tradition in der regionalwissenschaftlichen Forschung. Was zeichnet den Standort diesbezüglich besonders aus und wo liegen die aktuellen Herausforderungen, die sie auch im Rahmen des Symposiums diskutieren möchten?
KS: In Leipzig werden nahezu alle Weltregionen und in den unterschiedlichsten Disziplinen erforscht und die Stadt ist einer der größten deutschen Standorte für die Produktion von Weltwissen. Es bestehen gute Kooperationen mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, von Forschungsprojekten bis hin zu gemeinsamen Professuren. Das zeigt sich ja auch am Erfolg beim Einwerben von Drittmitteln, zuletzt die Beteiligung an der Max-Planck-Graduiertenschule „Global Multiplicity – A Social Anthropology for the Now“. Allerdings sind speziell die auf eine Region spezialisierten Institute mit teilweise nur ein bis zwei Professuren verhältnismäßig klein und die Zusammenarbeit mit weiteren Partnern in Mitteldeutschland ist durchaus ausbaufähig. Hier gilt es in den nächsten Jahren, die Netzwerke auszubauen und neue Forschungsthemen zu entwickeln.
CRH: Wir wissen, dass der Wettbewerb hart ist, insbesondere um Drittmittelprojekte. Interdisziplinäre und/oder transregionale Projekte haben hier aber einen Vorteil, denn beides wird von den Förderern gern gesehen. Die aktuelle globale Situation erfordert zudem fundiertes historisches, kulturelles und anderes Wissen, um auf die aktuellen politischen, sozialen und Umwelt-Krisen zu reagieren. Leipzig verfügt über umfangreiche Erfahrung in beiden Bereichen und ist in der Lage, Wissen für die Entscheidungsfindung im aktuellen globalen Kontext bereitzustellen.
Das Gespräch führte Roman Krawielicki.
[1] Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu den Regionalstudien (area studies) in den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Mainz, Drs.7381-06 (07.07.2006).
[2] Axbom, Per. 2023. If a Hammer Was Like AI… https://axbom.com/hammer-ai/ (3.5.24).