Das auf sechs Jahre angelegte Forschungsprojekt widmet sich einem kaum untersuchten, aber hochaktuellen Thema der globalen Politik: der afrikanischen Agency und der Rolle regionaler Organisationen wie z.B. der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) und dem Gemeinsamen Markt für das Östliche und Südliche Afrika (COMESA). Das Projekt zielt darauf ab, das Verständnis dafür zu schaffen, wie afrikanische RECs zentrale Herausforderungen unserer Zeit wahrnehmen, wie sie diese rahmen, und wie sie praktisch versuchen, konkrete Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen. Dieses Verständnis bildet eine wichtige Grundlage für kooperatives politisches Handeln über nationale und regionale Grenzen hinweg. Im Mittelpunkt stehen vier zentrale globale Politikfelder, die sowohl von afrikanischen als auch von anderen internationalen Akteuren als entscheidend für die regionale und internationale Zusammenarbeit angesehen werden: Migration, Klimawandel, Gesundheit und Energie.
Wir haben uns mit Jens Herpolsheimer über sein neues Projekt unterhalten:
Interview mit Dr. Jens Herpolsheimer:
Frage 1: Herr Dr. Herpolsheimer, herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Einwerbung der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe. Das ist sicherlich ein bedeutender Meilenstein für Sie. Was fasziniert Sie besonders an der Rolle afrikanischer regionaler Wirtschaftsgemeinschaften (RECs) in der globalen Politik?
Antwort: Vielen Dank. Das ist in der Tat ein wichtiger Erfolg für mich und beruflich ebenso wie inhaltlich eine große Chance. An der Rolle afrikanischer Regionalorganisationen allgemein und konkret an den sogenannten RECs, faszinieren mich eine Reihe interessanter Spannungen. Z.B. bestehen große Spannungsverhältnisse zwischen von allen Beteiligten bekundeten Ambitionen und konkreten Alltagspraktiken, zwischen knappen Ressourcen und einer Vielzahl von Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen sowie zwischen wiederkehrender heftiger Kritik durch internationale Geldgeber und anhaltender großer materieller und ideeller Unterstützung. Diese Spannungen entwickeln interessante z.T. widersprüchlich erscheinende Dynamiken und treiben eine Reihe fortwährenden Aushandlungsprozessen an, die bisher noch vollkommen unzureichend untersucht worden sind.
Frage 2: Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, die Rolle der afrikanischen RECs im Kontext globaler politischer Herausforderungen intensiver zu erforschen? Was, glauben Sie, hat die Gutachter besonders überzeugt?
Antwort: Sowohl in der Forschung als auch in öffentlichen, medialen Debatten wird immer deutlicher, dass “Afrika” einerseits ein sehr wichtiger Raum von globaler Bedeutung (z.B. wirtschaftlich, aber auch sozial und politisch) und gleichzeitig globale Ordnungsversuche ohne die aktive Einbeziehung und Beteiligung afrikanischer Akteure zum Scheitern verurteilt sind. Regionalorganisationen spielen hierbei eine zentrale Rolle als Orte, an denen eine Vielzahl von Akteuren zusammenkommen, als Plattformen und Mechanismen für Diskussion, Meinungsbildung und Entscheidungsfindung aber auch als handelnde Akteure. Diese Einsichten, gepaart mit fehlender substanzieller Forschung über interne Funktionsweisen und externe Beziehungen dieser Organisationen, hat, glaube ich, dazu beigetragen, die Gutachtenden zu überzeugen, dass es ein größeres ambitioniertes Forschungsprojekt braucht, um einige dieser Lücken zu schließen.
Frage 3: Welche spezifischen politischen Herausforderungen in den Bereichen Migration, Klimawandel, Gesundheit und Energie werden Sie untersuchen? Wie hängen diese Themen zusammen?
Antwort: Welche konkreten politischen Herausforderungen wir uns in diesen Politikfeldern näher anschauen werden, wird sich aus der Empirie ergeben. Zunächst wollen wir verstehen, wie genau verschiedene Akteure in diesen Organisationen diese Themen wahrnehmen, welche Bedeutung sie ihnen beimessen, wie sie diese politisch diskutieren und rahmen. Anschließend wollen wir untersuchen, wie sich dies dann in konkrete Policies übersetzt, wie diese institutionalisiert und schließlich in konkreten Projekten umgesetzt werden. Zwischen diesen Themen gibt es eine Reihe von inhaltlichen Zusammenhängen, aber für uns ist vor allem interessant, dass all diese Themen auf globaler Ebene stark versicherheitlicht sind. Das heißt sie werden als potenzielle Bedrohung für die Sicherheit von einzelnen Staaten, bestimmten Regionen oder auch die sogenannte internationale Gemeinschaft als Ganzes dargestellt. In dieser vorwiegend von westlichen Akteuren dominierten Versicherheitlichung wird “Afrika” zumeist als “Problem-Region” angesehen. Inwiefern afrikanische Akteure an Versicherheitlichung dieser Themen teilnehmen, –wenn ja– wie und –wenn nein– warum nicht, sind Fragen, die bisher kaum erforscht sind. Das wollen wir in diesem Projekt ändern.
Frage 4: Inwiefern ist die Zusammenarbeit zwischen afrikanischen und westlichen Ländern in diesen Politikfeldern von Bedeutung? Welche Ergebnisse erwarten Sie von Ihrem Projekt?
Antwort: Der Ausgangspunkt dieses Projekts ist die Beobachtung von vielfältigen Verflechtungen über staatliche und regionale Grenzen hinweg. Dementsprechend gehen wir davon aus, dass auch die Zusammenarbeit zwischen afrikanischen, westlichen, aber auch asiatischen und amerikanischen Ländern bzw. Regionen eine wesentliche Rolle spielt. Folglich sind wir daran interessiert, herauszufinden, auf welche Weise die untersuchten Regionalorganisationen miteinander, mit anderen Regionalorganisationen außerhalb Afrikas und natürlich auch mit international einflussreichen Staaten, NGOs oder den Vereinten Nationen interagieren, wenn es darum geht diese Politikfelder zu formen und letztlich in konkretes Handeln zu überführen.
Frage 5: Für wen sind Ihre Forschungsergebnisse besonders relevant? Welche Strategien planen Sie, um Ihre Erkenntnisse auch an ein nicht-wissenschaftliches Publikum zu vermitteln?
Antwort: Wie schon erwähnt wächst die Aufmerksamkeit und das Interesse an afrikanischen Akteuren in globaler Politik, wobei afrikanische Regionalorganisation wie gesagt eine wichtige Rolle spielen. Deshalb gehe ich davon aus, dass, neben den einschlägigen wissenschaftlichen Forschungsfeldern (z.B. Regionalismus- und Global-Governance-Forschung), unsere Ergebnisse gleichermaßen für westliche Politiker und interessierte Öffentlichkeit sein werden wie für politische Akteure in Afrika. Um genau diese Zielgruppen zu erreichen, planen wir z.B. frei zugängliche Veröffentlichungen von Projektergebnissen und mehrere Stakeholder-Workshops, auf denen Ergebnisse vorgestellt und diskutiert werden sollen.
Frage 6: Warum haben Sie Ihre Nachwuchsgruppe an der Universität Leipzig angesiedelt? Was macht den Standort Leipzig aus Ihrer Sicht besonders geeignet für die Umsetzung Ihres Projekts?
Antwort: Die Wahl der Universität Leipzig als aufnehmende Einrichtung gibt es sowohl eine Reihe von inhaltlichen als auch strukturelle Gründe. Inhaltlich ist hier vor allem die “Leipziger Schule” der Global Studies zu nennen, die eng mit dem Forschungsansatz des Projekts korrespondiert und auch eine Reihe weiterer Projekte (z.B. ANCIP) und Dissertationen mit Afrika-Bezug an der Uni Leipzig verbindet. Darüber hinaus bieten das ReCentGlobe und die GSGAS ein exzellentes interdisziplinäres und internationales Arbeistumfeld, dass vielfältigen Austausch, neue Perspektiven und gezielte Unterstützung für die Doktorand:innen im Projekt ermöglicht. Strukturell sind z.B. die Erfahrung und hervorragenden Begleit-Angebote in den Bereichen interdisziplinären Forschungsdaten-Managements (GlobeData) und Wissenschaftskommunkation zu erwähnen und perspektivisch wird das Projekt auch vom Bau des neuen State-of-the-Art Forschungsgebäudes GlobalHub profitieren, in dem es nach Fertigstellung untergebracht sein wird.