Die Zweitstimmenergebnisse in Sachsen lassen sich zumindest teilweise auf die soziale Struktur, wirtschaftliche Faktoren und die infrastrukturelle Versorgung einer Gemeinde zurückführen. Das hat eine Untersuchung von Marius Dilling und Johannes Kiess vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut an der Universität Leipzig ergeben. Dafür haben die beiden Sozialwissenschaftler unter Verwendung von Daten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und des Statistischen Landesamts des Freistaates anhand der sächsischen Landtagswahl 2019 untersucht, ob sich soziale und infrastrukturelle Unterschiede im Freistaat auch in den Wahlergebnissen niederschlagen. Die Analyse stellt das Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Öffentlichkeit als Policy Paper zur Verfügung.
Ihre Untersuchung zeigt, dass dies am ehesten auf die Ergebnisse von AfD und Grüne zutrifft. So führten vor allem ein geringer Anteil von Frauen in der Gemeinde, eine hohe Arbeitslosenquote vor Ort sowie lange Wege zu Stationen des täglichen Bedarfs (Apotheke, Supermarkt, Grundschule, ÖPNV-Haltestelle) zu einem höheren Zweitstimmenanteil der AfD. „Das zeigt eindrucksvoll, dass die AfD in schrumpfenden und zunehmend homogenen Gemeinden erfolgreich ist“, so Dr. Johannes Kiess, Soziologe und stellvertretender Leiter des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts. "Gleichzeitig sind diese Gemeinden aber wirtschaftlich nicht unbedingt abgehängt, Schuldenstand der Gemeinden und Steuereinahmen pro Kopf sprechen gegen die Modernisierungsverliererthese."
Nicht nur Leipzig und Dresden sind Hochburgen der Grünen
Ganz anders die Ergebnisse hinsichtlich der Wahlergebnisse der Grünen: Bündnis90/Die Grünen sind vor allem in städtischen, heterogenen und prosperierenden Sozialräumen erfolgreich. Das betreffe durchaus nicht nur die beiden größten Städte, Leipzig und Dresden, sei hier aber stark ausgeprägt. „In großen Gemeinden, in denen zudem viele Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft und Frauen wohnen, finden sich anteilig mehr Wählerinnen und Wähler der Grünen“, erklärt der Sozialwissenschaftler Marius Dilling. Aber auch die Ergebnisse der anderen Parteien lassen sich laut der Analyse entlang sozial, wirtschafts- und infrastruktureller Faktoren deuten. Die Ergebnisse bestätigen damit bundesweite Untersuchungen.
Abseits dieser klaren Muster lassen sich für alle untersuchten Parteien auch Ausreißer feststellten. So gibt es Gemeinden, in denen die lokalen Faktoren eigentlich einen Wahlsieg der AfD wahrscheinlich erscheinen lassen, die dennoch die CDU für sich gewinnen konnte. Besonders auffällig sind einige katholisch geprägte Gemeinden. „Dies verweist auf die Relevanz des politischen Klimas vor Ort und die Bedeutung, die lokale Politikerinnen und Politiker spielen“, sagt Johannes Kiess. Hier könne sozialraumnahe Forschung einen wichtigen Beitrag leisten, Dynamiken und Kontinuitäten zu verstehen und so die relative Stärke verschiedener Parteien und politischer Traditionen zu erklären.
Über das EFBI
Das an der Universität Leipzig angesiedelte Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) bildet eine Forschungsinfrastruktur in Sachsen, die demokratiefeindliche Einstellungen, Strukturen und Bestrebungen erforscht und dokumentiert. Im Vordergrund stehen dabei verschiedene Formen der Diskriminierung, die Strategien und Dynamiken rechts-autoritär motivierter Bündnisse und die Stärkung demokratischer Politik.