Datum/Uhrzeit: bis Uhr
Art: Kolloquium, Online
Dauerveranstaltung: Transnationales Seminar "Kulturtransfer"

Das transnationale Forschungsseminar besteht aus Vorträgen internationaler Gäste, die sich der Analyse von Kulturtransfers zwischen unterschiedlichen Regionen der Welt widmen. Die Sitzungen werden in Französisch, Englisch oder Deutsch abgehalten, wobei die Sprache des Vortrages sich aus dem angegebenen Arbeitstitel ergibt, während Diskussionsbeiträge in allen drei Sprachen möglich sind.

Martin Gierl, Universität Göttingen
Von der internationalen Gelehrsamkeit zur nationalen Wissenschaft – das Beispiel der Journale

Eigentlich bin ich völlig ungeeignet, um über „Kulturtransfer“ zu sprechen: Ich habe – aus einigen guten Gründen – aufgehört, Wissen als Kultur zu betrachten. Ich sehe in Wissen Technologie. Damit bin ich dann allerdings fähig, etwas über die „Vektoren, die jede Verschiebung intellektueller Inhalte in Raum und Zeit erklären und fördern“ zu sagen,
zumindest, wenn man die Raummetapher „Vektor“ zum „Informationsfluss“ oder in meinem Sinn zur „Kommunikations- und Interaktionsmechanik“ macht. Ich bearbeite eine offensichtlich technologisch generierte derartige Kommunikations- und Interaktionsmechanik: Zeitschriften – genauer die Zeitschriften an der Universität Göttingen von 1750 bis 1830. Ich werde Ihnen in diesem Vortrag zwei Typen davon und ihre unterschiedliche Rezeption internationaler resp. nationaler Literatur vorstellen: Die Göttingischen gelehrten Anzeigen – die alles rezipierende, prominente Gelehrte Zeitung der Universität – und Beispiele der in Göttingen produzierten 87 Fachzeitschriften. Während die GGA die Rezeption der internationalen Literatur als Qualitätserweis der Universität betrieb – sich die Art dieser Rezeption allerdings änderte –, verwissenschaftlichten sich die Fachzeitschriften gerade dadurch, dass sie internationale Referenzen mehr und mehr ersetzten: Der Originalbetrag des nationalen, im Fach ausgewiesenen Kollegen trat als Autoritätserweis anstelle des Abdrucks eines international renommierten ausländischen Gelehrten. In diesem Sinn gibt es keinen Kulturtransfer, sondern einen Technologietransfer zu jeweils spezifischen Zwecken.

 

Kathleen Schlütter, Universität Leipzig
Buchpräsentation: „Exzellenz und Égalité. Die französische Hochschul- und Forschungspolitik zwischen globalem Anspruch und nationaler Umsetzung (2002 bis 2012)“
„Wissensgesellschaft“ war in den 2000er Jahren ein omnipräsentes Motiv in westeuropäischen Industrienationen, die vor dem Hintergrund von zunehmender internationaler Konkurrenz über ihre Zukunftsfähigkeit nachdachten. Dabei erhielten Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Orte der „Wissensproduktion“ eine besondere gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Doch wie wirken sich solche global zirkulierenden Ideen auf nationalstaatliche Politik aus? Mein Buch schließt diese Forschungslücke für das Fallbeispiel Frankreich. Ich habe beginnend mit der zweiten Amtszeit von Staatspräsident Jacques Chirac aufgearbeitet, wie die Selbstwahrnehmung, eine weltweit führende Wissenschaftsnation zu sein, mit der zunehmenden Bedeutung international vergleichender Indikatoren, der Lissabon-Strategie der Europäischen Union und Hochschulrankings in Frage gestellt wurde. Durch intensive Reformauseinandersetzungen, die Gründung neuer Strukturen wie der Agentur für Forschungsförderung ANR und einer Exzellenzinitiative entstand bis zum Ende der Amtszeit von Nicolas Sarkozy eine französische Antwort auf diese Herausforderungen: ein Exzellenzmodell, das den französischen Traditionen treu blieb, aber international anschlussfähig war.