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Mit dieser zur Spekulation einladenden Frage beschloss ein Kommissionsmitglied die gemeinsame Erörterung der Dissertation, die Janine Kläge am 28.5.2020 vor einem zahlreich zugeschalteten Online-Publikum sehr erfolgreich verteidigt hat. Das Thema der Arbeit lud zu dieser wissenschaftsgeschichtlichen Reminiszenz ein, denn Frau Kläge hatte sich mit dem „Erzählten Staat. Vorstellungen über und Ansprüche an den Staat im öffentlichen Diskurs in Kamerun“ auseinandergesetzt.

Die gründliche Analyse der Reden, die der Endlospräsident Paul Biya seit den 1990er Jahren an die Nation gerichtet hat, einer großen Zahl von Pressebeiträgen und zahlreicher ergänzender Interviews mit oppositionellen Intellektuellen lieferte die Basis für die Rekonstruktion eines Staatsverständnisses, das erkennbar am Ideal des französischen Wohlfahrtsstaates ausgerichtet ist – und dies eben, trotz aller politischen Differenzen, bei Regierenden und Regimekritikern in ganz ähnlicher Weise. Während man in Europa darüber spekuliert, wie defizitär der Staat in Afrika gegenüber einem westlichen Vorbild eigentlich ist und sich dabei nicht selten auf Max Weber beruft, kommt Janine Kläge zu dem Ergebnis, dass bei aller Kritik an Dysfunktionalitäten des Staates in Kamerun in der Bevölkerung des Landes eine hohe (wenn nicht unrealistische) Erwartung an dessen Leistungsfähigkeit besteht. Man traut dem Staat zu, für Versorgung und Gerechtigkeit zu sorgen, auch wenn die aktuelle Lage viel Anlass zu Klage bietet. Folgt man den Diskursen, die verschiedene Gruppen in dem zentralafrikanischen Land über Staatlichkeit unterhalten, lassen sich die Grenzen des Sag- und Denkbaren offensichtlich genauer aufschließen, als mit einem voreingenommenen Messen an den Normen anderer Weltgegenden. Foucault war dafür ein inspirierender Reisebegleiter. Doch am Ende hatte Frau Kläge auch eine Antwort auf die Frage nach Webers Meinung zur Sache: ihm sei es hauptsächlich um die Formulierung von Idealtypen gegangen, die man aus historischen Beispielen (und ihrer zeitgenössisch verfügbaren Beschreibung in der Sekundärliteratur) destillieren könne, nicht um normative Urteile über konkrete Formen der Staatlichkeit.

Die Kommission kam am Ende einhellig zu dem Urteil, hier sei die Verteidigung eines spannenden Ansatzes auf exzellente Weise gelungen. Das DFG-Schwerpunktprogramm 1448 „Creativity and Adaptation in Africa“ hatte erkennbar ein inspirierendes Umfeld geboten und zählt nun eine weitere Promotion zu seinen Erträgen, der eine baldige Veröffentlichung zu wünschen ist.