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In der Serie „Ich forsche an der Uni Leipzig…“ stellt LUMAG, das Leipziger Universitätsmagazin, regelmäßig Nachwuchswissenschaftler vor. Woran forschen die Doktoranden und Post-Docs der Universität eigentlich? Was treibt sie an oder welche Stolpersteine liegen auf dem Weg zum Doktortitel? Vorgestellt werden nicht nur spannende Forschungsthemen, sondern auch die Gesichter, die sich hinter ihnen verbergen.

Für diesen Beitrag hat Jens Herpolsheimer einige Fragen beantwortet. Er erhielt kürzlich den Katharina-Windscheid-Preis der Research Academy Leipzig für seine Dissertation, die er als Zwillingsvater mit aufwändiger Feldforschung in Afrika, den USA und Europa hervorragend verteidigte.

Name: Jens Herpolsheimer
Alter: 35
Funktion/Fachgebiet: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich 1199 „Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen“ / Afrikastudien und Global Studies
Mein Thema: Praktiken des Inter-Regionalismus zwischen afrikanischen Regionalorganisationen und der Europäischen Union
Das habe ich studiert: Afrikastudien
An der Uni Leipzig seit: 2009

LUMAG: Worum ging es bei Ihrem Dissertationsprojekt, und was wollten Sie herausfinden?

Jens Herpolsheimer: In meiner Dissertation habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie verschiedene afrikanische Regionalorganisationen versuchen, während und durch Interventionen in gewaltsamen Konflikten, Räume (zum Beispiel bestimmte Regionen) zu etablieren, zu gestalten, zu verteidigen oder neuzuordnen. Dabei habe ich zunächst untersucht, wie genau verschiedene Akteure bei diesen Organisationen auf gewaltsame Konflikte reagieren und welche konkreten Praktiken sich dabei herausgebildet haben. Wie sich herausgestellt hat, sind diese wesentlich vielfältiger als in der existierenden Forschung zumeist angenommen. Außerdem stehen sie in einem direkten und sehr engen Verhältnis zu gegenwärtigen Verräumlichungsprozessen, die wir zurzeit in Afrika sehr intensiv beobachten können. Durch diese Interventionspraktiken wirken afrikanische Regionalorganisationen also maßgeblich daran mit, verschiedene regionale Räume zu konstruieren und nach bestimmten Mustern zu formatieren. Außerdem arbeiten sie sehr gezielt darauf hin, diese regionalen Räume zu anderen Regionen in Beziehung zu setzen und bestimmte Vorstellungen räumlicher Ordnung um- und durchzusetzen.

Warum haben Sie gerade zu diesem Thema promoviert? Was fasziniert Sie daran?

Schon seit meinem Studium der Afrikastudien habe ich mich dafür interessiert, wie bestimmte politische Organisationsformen wirklich funktionieren, die für uns aus europäischer Perspektive auf den ersten Blick eigentlich nicht zu funktionieren scheinen. Dazu gehören viele Staaten in Afrika, die entweder fälschlich oder oft zumindest ohne großen Erkenntnisgewinn als „gescheitert“ oder „schwach“ bezeichnet werden. Dazu gehören aber auch afrikanische Regionalorganisationen, die häufig zum Beispiel als „unfähig“ oder nur autokratischen Herrschern dienend angesehen werden. In beiden Fällen wird zumeist an westlichen, europäischen Idealen gemessen, die entweder auch bei uns nur unvollkommen umgesetzt werden oder aber in ihrem speziellen historischen Kontext verstanden werden müssen. Dieser lässt sich nicht einfach als allgemeingültig annehmen. Dadurch wird nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in Teilen der Wissenschaft viel missverstanden und übersehen. Mich hat interessiert, was genau die Menschen tun, die in diesen Organisationen arbeiten und wie sie ihre Arbeit verstehen und erklären. Ich finde es faszinierend zu beobachten, wie vielfältig die Arbeit in diesen Organisationen ist, und zu verstehen, welche Überlegungen, Motivationen und Ziele ihr zugrunde liegen, ohne diese von vornherein zu beurteilen.

Welche Stolpersteine und Highlights sind Ihnen auf Ihrem Weg zum Doktortitel begegnet?

Die Forschung vor Ort, insbesondere in den Hauptsitzen der Afrikanischen Union in Addis Abeba, Äthiopien, und der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) in Abuja, Nigeria, hat für mich sowohl einige Stolpersteine, als auch Highlights bereitgehalten. Ich hatte vorher keine Forschungserfahrung an afrikanischen Organisationen und musste vor allem eine Reihe von Regeln lernen, die nirgends aufgeschrieben sind, deren Kenntnis und Befolgung aber fundamental beeinflussen, ob und wie man Zugang zu Material und Interviewpartnern bekommt. Eine besondere Herausforderung war dabei zum Beispiel herauszubekommen, wer überhaupt wofür zuständig ist oder relevantes Wissen haben könnte, da diese Informationen im Vorfeld nur sehr bruchstückhaft zugänglich waren. Ein anderes Beispiel sind die Schwierigkeiten, Kontakt herzustellen, wenn man keine Antworten auf E-Mails erhält und Termine aus unterschiedlichen Gründen nur kurzfristig vor Ort zu bekommen sind, dann aber häufig noch verschoben oder abgesagt werden. Gleichzeitig haben mir aber der Austausch und die außerordentliche Offenheit und Hilfsbereitschaft vieler Menschen aus diesen Organisationen enorm geholfen und meine Arbeit sowie die Promotion überhaupt erst möglich gemacht. Das waren tolle Erfahrungen.

Wie ging es nach der Promotion für Sie weiter?

Ich habe das Glück, dass der Sonderforschungsbereich 1199 „Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen“ für eine zweite Förderphase verlängert worden ist. In diesem Rahmen habe ich in der ersten Förderphase promoviert. In der zweiten Phase arbeite ich seit Januar 2020 als Postdoktorand in einem Folgeprojekt, das sich mit den Praktiken des Inter-Regionalismus zwischen afrikanischen Regionalorganisationen und der Europäischen Union beschäftigt, insbesondere im Bereich Frieden und Sicherheit. Hierbei interessiert mich vor allem wieder zu verstehen, was welche Personen wie ganz konkret machen, welche Alltagspraktiken dadurch entstanden sind und wie sich diese zu offiziellen Darstellungen verhalten. Darüber hinaus untersuchen wir in diesem Projekt, wie verschiedene Akteure durch diese Praktiken Raum über regionale Grenzen hinweg zu ordnen versuchen, insbesondere mit Blick auf Sicherheitspolitik und bezogen auf gegenwärtige Entwicklungen in Westafrika und dem Sahel.

Womit verbringen Sie gern Ihre Freizeit?

Meine Freizeit verbringe ich überwiegend mit meiner Familie, meiner Partnerin und unseren zwei Kindern. Ich bin gerne draußen, unterwegs in der Natur oder im Garten.

 Haben Sie ein Lebensmotto? Wenn ja, welches?

Auch wenn es mir nicht immer gelingt, es umzusetzen: Erstmal die Ruhe bewahren.

 

Das Interview erschien am 11. März 2020 im LUMAG (im Universitätsnetz abrufbar).