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In ihrem Beitrag erklären Professorin Judith Miggelbrink und Frank Meyer wie Verräumlichungsprozesse die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus beeinflussen.
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Am ReCentGlobe arbeiten mehr als 200 Mitarbeiter*innen zusammen und untersuchen, ausgehend von einem handlungs- und akteurszentrierten Ansatz, Globalisierungsprojekte der Gegenwart und Vergangenheit. An dieser Stelle kommen jede Woche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Zentrums zu Wort, geben Einblicke in ihre Forschung und treten miteinander in eine Debatte.

Die aktuelle Ausbreitungsdynamik des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten Krankheit COVID-19 illustrieren, dass grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren zunehmend national und international problematisiert werden. Zudem veranschaulicht der aktuelle Fall auch die Rolle, die Globalisierungsprozesse im alltäglichen Leben im Bereich der Gesundheit von Menschen haben bzw. welche auch negativen Folgen damit einher gehen: Mit der irreversiblen Verflechtung von Gesellschaften in der global condition und den hochfrequenten Interaktionen von Menschen geht eine verringerte Fähigkeit einher, die transnationale Ausbreitung von grenzüberschreitenden health hazards effektiv und in einer Weise einzudämmen, dass nicht an anderer Stelle massive Folgewirkungen produziert werden. Während COVID-19 bereits jetzt neue Debatten um den aktuellen und zukünftigen gouvernementalen Umgang damit inspiriert, sind die aktuellen Dynamiken auch für den SFB 1199 von besonderer Bedeutung, der sich mit der global condition und ihren Verräumlichungsprozessen auseinandersetzt.

Von herausragendem Interesse sind hierbei raumbezogene Strategien, welche im Zuge regulativer Antworten auf die Ausbreitung von SARS-CoV-2 formuliert werden. In einer Welt, welche durch häufige und schnelle grenzüberschreitende Austauschprozesse von Gütern, Menschen, Informationen und Kapital geprägt ist, und deren Wohlstandsakkumulation als auch -polarisation auf diesen Prozessen beruht, erscheint die Eindämmung dieses Virus‘ gleichermaßen essentiell wie auch vergeblich. Wie unser nachfolgender Beitrag zeigt, wenden staatliche Akteure im Ringen um die Deutungs-, Kontroll- und Behandlungshohheit eine Reihe raumbezogener Regulationsmuster an, die im Kern das Ziel haben, den Fluss möglicher Vektoren zu beschränken, die Anzahl der Interaktionen zu beschränken und bestehende Netzwerke voneinander zu entkoppeln.

Diese Logik der Diskonnektivität, die in Kontrast zur bisher etablierten Logik der Hyperkonnektivität steht, folgt dabei bisher einem überwiegend nationalstaatsbasierten und – in einem nach unserem Eindruck zunehmendem Maße – autoritären Paradigma, mittels dessen staatliche Regulationsinstanzen die Verantwortung für die Eindämmung (auch) als ein Recht für Eingriffe in das Private interpretieren. Ihre Strategien beinhalten …

a) Maßnahmen, um die Ausbreitung der Pathogene zu verfolgen:
Hierbei besteht v.a. die Schwierigkeit, dass nach aktuellem Stand auch Infektionsfälle nicht immer zu einem klinischen Fall werden – die Überträger/innen also auf diesem Weg auch nicht (vor)identifiziert werden können, und dass die Erreger außerhalb des Körpers überleben. Rekonstruktive Maßnahmen, die den epidemiologischen Pfad des Virus verfolgen wollen um ihn eindämmen zu können, stehen zudem vor Schwierigkeit, dass sie Infektionspfade nur zeitversetzt nachverfolgbar sind. Dementsprechend ist eine Vielzahl von Staaten mittlerweile dazu übergegangen, nicht nur extensive Testreihen aufzubauen, sondern präventiv die Bewegungsfreiheit von Menschen einzuschränken, um die Infektionsdynamik zu verlangsamen.

b) Maßnahmen, um die Informationsverbreitung zu heraufzuskalieren:
Die Information von medizinischem Personal, die Vereinheitlichung von Testkriterien, von statistischen Erhebungen und die Koordinierung regulativer Maßnahmen (wie Grenzschließungen) sind Gegenstand aktueller Debatten – in einer Phase, in der Nationalstaaten (selbst in der Europäischen Union) bisher mehrheitlich unkoordiniert handelten. Eine zentrale Rolle kommt dabei der WHO zu, deren Deklarationen einer Pandemie (bzw. ihrer langen Weigerung dies zu tun) im Informationsbereich intensiv beobachtet wurden. Viele nationale Akteure haben sich daran orientiert und wiederum Institutionen designiert, die WHO-Richtlinien im nationalen Kontext umzusetzen haben – mit einem trickle-down-Effekt. Problematisch ist derzeit aber nicht zuletzt die Uneinheitlichkeit der statistischen Erfassung.

c) Maßnahmen, kontaminierte und potentielle Träger einzudämmen:
Unabhängig von der Debatte um die medizinisch-epidemiologische Notwendigkeit stellt die kollektive Freiheitsbeschränkung infizierter Personen einen seltenen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar. Diese Einschränkungen dienen der Minimierung sozialer Kontakte und damit der Disruption sozialer Netzwerke, die als Knotenpunkte für die Pathogenverbreitung fungieren. Neben der „klassischen“ Knotenpunkten der Globalisierung (Flughäfen/Flugverkehr, internationale Konferenzen) geraten nun Knotenpunkte dieser speziellen Form der Globalisierung in den Blick, die bislang nicht auf der Agenda standen: Skiorte und Clubs beispielsweise. Während die Isolation bestätigter Erkrankungsfälle den Infektionspfaden hinterherläuft, zielen extensive Quarantänen darauf, proaktiv Infektionen zu verhindern. Diese Strategien setzen dabei ein zwei unterschiedlichen Arenen an: Einerseits werden damit die katalytischen Effekte von Portalen der Globalisierung minimiert, an denen transnationale Verdichtungen von Interaktionen das Infektionsgeschehen aufrechterhalten. Andererseits werden damit die alltäglichen Interaktionen minimiert, um die lokalen Cluster der Infektionen eindämmen bzw. verhindern zu können. Beide Strategien operieren dabei mit einer territorialen Logik, welche das Ziel hat, globale und lokale Verflechtungen zu verringern.

d) Maßnahmen, die raumbezogene Diskursmuster aufgreifen:
Aktuell ist eine Häufung territorialisierter Darstellungen des globalen Infektionsgeschehens bzw. Darstellungen subnationaler Territorien zu konstatieren. Diese Darstellungen nutzen das weiterhin verfügbare, jedoch nicht immer widerspruchsfreie Datenmaterial, und flechten einen Raumbezug visuell ein, um das Ausbreitungsgeschehen kommunizierbar zu machen. Komplementär dazu werden (z.B. in Südkorea) Apps entwickelt, die Aufenthaltsorte von bestätigten Coronafällen tracken und Nutzen warnen, wenn sich diese in der Nähe aufhalten. Während territorialisierte Repräsentationen fundamental für eine Situationsbewertung sind, sind sie jedoch ebenso kritisch einzuschätzen, da sie einen Wahrheitshorizont kreieren, der spezifische Container als methodologische Rahmung für Bewertungen annimmt, während territoriale Kontrolle bisher einen eher begrenzten Nutzen zu haben schien.

 

Schließlich steht sich die Frage, inwieweit die „Corona-Krise“ biopolitisch motivierte Renationalisierungen und Reterritorialisierungen vorantreiben wird, in denen die kapitalistischen Arbeitsteilung in nationalem und internationalen Maßstab mit Fragen nationaler Autarkie und Abhängigkeit (z.B. hinsichtlich Gütern der Grundversorgung, medizinische Güter) verbunden wird. Auf solche, durchaus problematische Szenarien deuten zumindest neue fremdenfeindliche Vorfälle auf der Basis nationaler Stereotypen hin, deren Bedeutung im Hinblick auf eine „Post-Corona-Gesellschaft“ sicherlich jetzt noch nicht beurteilt werden können. Für die Globalisierungsforschung stellt sich – sicherlich nicht erst seit COVID-19, seitdem aber sehr viel schärfer – die Frage, wie und durch welche räumliche Formen Globalisierung konkret stattfindet und welche Auswirkungen globale Großereignisse auf räumliche Ordnungen von Gesellschaft haben.