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Der Direktor des ReCentGlobe erzählt im Interview von gutem Teamwork in der Antragsphase, den Besonderheiten des Konzeptes hinter dem „Global Hub“ und den großen Herausforderungen bis zum Bezug des Forschungsneubaus – und er verspricht: „Ein Flughafen soll es nicht werden.“

Herr Middell, heute hat der Wissenschaftsrat bekanntgegeben, dass er den Bau des „Global Hub“ an der Universität Leipzig empfiehlt. Zum Einstieg eine Sportreporter:innenfrage: Freuen Sie sich?

Ja, ich freue mich sehr – über dreifachen Punktgewinn und das hervorragende Spiel unserer Mannschaft. Ich will nur erwähnen: die großartige Unterstützung der Hochschulleitung (die nicht zuletzt den griffigen Titel „Global Hub“ ins Spiel gebracht hat) und der Abteilung von Herrn Döring im SMWK, vor allem aber auch das unglaubliche Engagement der Dezernate 1 (Forschung) und 4 (Bau) in der Zentralverwaltung, insbesondere Frau Niekler und Herr Braun, die sich wirklich auf die Bedürfnisse der Wissenschaft mit viel Spielwitz eingelassen haben; natürlich die vielen klugen Pässe aus der Gemeinschaft der Antragsteller:innen und nicht zuletzt die Geschäftsführerin von ReCentGlobe, Antje Zettler, die im zentralen Mittelfeld die Fäden gezogen hat und nie den Überblick verloren hat. Dazu ein enormer Kampfgeist, auch als wir nach einer positiven Evaluierung im vorigen Jahr das Geld doch nicht bekamen, weil andere vor uns in der Tabelle standen. Umso glücklicher sind wir alle nun über das Comeback nach der Halbzeit.

 

Könnten Sie kurz erklären, was der „Global Hub“ eigentlich ist?

Zunächst ist es ein Gebäude, in dem Forscher:innen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften mit einem Fokus auf globale Dynamiken unterkommen sollen, und das in zentraler Lage auf dem derzeit neu zu bebauenden Leuschner-Platz. Um die Unterstützung des Wissenschaftsrates zu gewinnen, muss man allerdings nicht nur eine Bauplanung vorlegen, sondern zwei Fragen überzeugend beantworten: Ist das Forschungsprogramm von nationaler Bedeutung und passt der Bau zu diesem Forschungsprogramm? Die Art und Weise, wie wir neue globale Dynamiken untersuchen, ist so ein Alleinstellungsmerkmal und verlangt auch eine neue Form der wissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeit, die den Bau anders werden lässt, als die übliche Aneinanderreihung von einzelnen Büros.

 

Sie sind Direktor des Research Centre Global Dynamics – kurz ReCentGlobe. Was ist das für ein Forschungszentrum und wie unterscheidet es sich vom „Global Hub“?

Das Forschungszentrum ist die Basis. Es vereint viele große Projekte und viele kluge Köpfe, die dieses Forschungsprogramm, das ja immerhin der Frage standhalten musste, ob es bis 2035 relevant bleibt, gemeinsam ersonnen haben.

 

Warum wird der „Global Hub“ ausgerechnet an der Universität Leipzig errichtet? Was zeichnet den Forschungsstandort aus?

Leipzig hat eine bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreichende Tradition, Wissenschaftler:innen aus den historischen und den mit verschiedenen Weltregionen befassten Disziplinen zusammenzubringen für eine Untersuchung der grenzüberschreitenden Prozesse und ihres Einflusses auf einzelne Länder und Regionen. Diese wurde nicht nur in den letzten Jahren wiederbelebt, sondern hat neue Theorien hervorgebracht, mit denen wir zunehmend internationale Anerkennung gefunden haben. Damit ist ein Profil der Universität entstanden, das an Prägnanz gewonnen und so neue Akteure angezogen hat. Und inzwischen unterstützt das Rektorat diese Profilbildung immer stärker mit der Ausschreibung von Stellen, die das Profil abrunden und ergänzen. Es ist vor allem diese erkennbar gemeinsame Strategie, die die Gutachter:innen des Wissenschaftsrats überzeugt hat.

 

Was werden die Wissenschaftler:innen im „Global Hub“ künftig erforschen?

 

Wir beschäftigen uns mit dem Wandel von Weltordnungen, mit den Veränderungen gesellschaftlichen Zusammenhalts unter den Bedingungen von globalen Dynamiken, mit alten und neuen Weltbildern und Weltsichten sowie mit dem sich wandelnden Umgang mit Ressourcen und deren globaler Verteilung. Dafür bringen wir in den Forschungsfeldern jeweils viele Studien zusammen, die diese vier Themenfelder über den ganzen Erdball hinweg verfolgen.

 

In dem Forschungsgebäude gibt es rund 500 Arbeitsplätze. Weshalb bedarf es so vieler Menschen, um diese Themen zu untersuchen?

Es liegt ja auf der Hand, dass der Anspruch, globale Dynamiken zu untersuchen, nur glaubwürdig einzulösen ist, wenn man eine kritische Masse an Expertise für die verschiedenen Teile der Welt versammelt hat. Wir sind deshalb sehr froh, dass eine Reihe von Drittmittelprojekten und vor allem die Graduiertenschule Global and Area Studies erlauben, Forscher:innen aus vielen Ländern zu versammeln und in diesen Verbund einzubeziehen. Zugleich kooperieren wir eng mit Standorten auf anderen Kontinenten, für die wir auch nur dann attraktiv sind, wenn wir selbst etwas zu deren Schwerpunkten beizutragen haben.

 

 

Sie sprachen das Forschungskonzept schon an. Was ist das Besondere daran?

Ich würde vor allem das Besondere unserer Perspektive hervorheben: Wir interessieren uns für globale Dynamiken und nicht primär für exotische Orte. Deshalb gibt es auch viele Projekte, die sich mit Deutschland und seinen europäischen Nachbarn beschäftigen, aber es geht uns dabei um die Einordnung dieser Entwicklungen in eine globale Perspektive, nicht um eine parochiale Beschränkung auf nationale oder regionale Phänomene allein. Eine solche Perspektive ist noch immer eine Besonderheit, auch wenn der Bedarf an Orientierungswissen in unserer Gesellschaft rasch wächst und akut wird, weil wir von so vielen globalen Dynamiken beeinflusst werden bzw. sie sogar mitzubestimmen versuchen.

 

 „Global Hub“ klingt auch nach Vernetzung. Wie wichtig ist der Kooperationsgedanke in Ihrem Konzept?

Er ist konstitutiv und stilbildend: Wir forschen nicht schlechthin über andere Weltregionen, sondern wir forschen mit Wissenschaftler:innen aus diesen Regionen zusammen. Die Möglichkeiten dazu haben sich während der Pandemie paradoxerweise zugleich verschlechtert und verbessert, denn viele Kontakte waren unterbrochen und wir haben gleichzeitig gelernt, sie durch virtuelle Kommunikation zu ersetzen oder sogar zu erweitern. Aber Kooperation begrenzt sich nicht auf transregionale Verbindungen, der „Global Hub“ gibt auch der mitteldeutschen Zusammenarbeit mit Kolleg:innen in Halle und Jena einen inspirierenden neuen Rahmen. Und nicht zuletzt: Der „Global Hub“ ist auch die Geschäftsstelle für eine ganze Reihe nationaler und europäischer Fachverbände und Projekte.

 

Geistes- und Sozialwissenschaften gelten ja gemeinhin nicht als besonders technologieaffin. Wozu benötigen Sie eigentlich ein „Digital Lab“?

Tatsächlich hat sich die Lage in den letzten Jahren dramatisch geändert. Unser Forschungsmaterial ist in exponentiell wachsendem Maße in digitaler Form zugänglich: Statistiken, Medieninhalte, Daten über die Mobilität von Menschen, Waren oder kulturellen Mustern und vieles andere mehr. Dies erlaubt uns (und zwingt uns zu einem gewissen Maße), auch Methoden der digitalen Erschließung dieser Materialien bis hin zu künstlicher Intelligenz zu nutzen, und das heißt zuerst einmal, sie zu erlernen und die dafür nötigen Infrastrukturen aufzubauen. Ein weiterer  Aspekt kommt hinzu: Unsere Kommunikationsformen ändern sich heftig, Videositzungen erlauben Absprachen über die Grenzen von Kontinenten (und Zeitzonen!) hinweg und schütteln unsere Organisationsformen durcheinander. Der „Global Hub“ bietet die Möglichkeit, uns an diese Trends anzupassen.

 

Bei einem so aufwendigen Gebäude entsteht berechtigterweise auch die Frage der Nichtwissenschaftler:innen: Was haben wir konkret davon? Wohin fließt all das Wissen aus dem „Global Hub“?

Ja, diese enorme Investition rechtfertigt sich nur, wenn wir das erzeugte Wissen auch an die Gesellschaft zurückgeben. Wir teilen den Traum des Leipziger Stadtrates von einem lebendigen Leuschner-Platz, zu dem wir unser Angebot einer Erdgeschosszone des „Global Hub“ beitragen, das offen ist für Besucher und nicht nur einzelne Veranstaltungen, sondern ein permanentes Forum öffnet, das zur Debatte einlädt und Wissenschaft zum Anfassen bietet.

 

Eine letzte Frage: Wann ziehen Sie ein?

Der Trick des Wissenschaftsrats besteht darin, das Geld nur für eine Periode von fünf Jahren zur Verfügung zu stellen. Dies lädt dazu ein, an einen Einzug Ende 2026 zu glauben. Ein Flughafen soll es ja nicht werden.

Herr Middell, vielen Dank für das Gespräch und Glückwunsch zu diesem Erfolg!

 

Die Fragen stellte Roman Krawielicki.