„Ain't no revolution is televised and digitized“1
„Villains don’t deserve statues“ schrieb Taylor Swift. Und Billy Eilish postete: „If all lives matter why are black people killed for just being black?“. Nur zwei Beispiele der letzten Zeit. Es melden sich derzeit in großer Zahl Popstars zu Wort und solidarisieren sich mit der Black Lives Matter-Bewegung (BLM), die ihren Ursprung in den USA findet und sich für die Rechte von Schwarzen einsetzt. Die Populärkultur, etwas generalisierend gesprochen, zeigt sich gerade politisch sehr durchlässig und zugleich sehr aktiv.
Das gilt nicht nur für die Musikbranche, sondern auch für andere Bereiche: den Sport, Film, Fernsehen. Überall lassen sich Beispiele für Solidarisierungen finden, in den USA wie in Europa. Die Spieler der Premier League haben statt ihrer Namen „Black Lives Matter“ auf den Trikots stehen, Spotify kuratiert eine eigene Playlist unter diesem Titel, und selbst auf der Online-Plattform vom Abo-Sender Sky findet sich eine Themenleiste BLM.
Einerseits ist das nichts Neues. Wortmeldungen berühmter Pop- und Rockstars zu politischen Themen und in Momenten politischer Skandalisierung sind gerade in den USA im Grunde eingespielte Praxis. Aber möglicherweise ordnet sich das Verhältnis von Populärkultur und Politik im Moment gerade neu. Denn deutlich größer scheint auf den ersten Blick die Solidarität zu sein. Es sind diesmal nicht nur die üblichen Verdächtigen, die sich melden. Es ist eben auch Taylor Swift, die bisher sehr zurückhaltend bei politischen Äußerungen war. Zu deutlich, so sagte sie kürzlich selbst, hatte sie noch das Beispiel der Country-Band Dixie Chicks vor Augen, denen es noch vor ein paar Jahren nicht gut tat, sich pro-demokratisch zu äußern. Und es ist beispielsweise aus dem Bereich des Sports Drew Brees, landesweit berühmter Quarterback der New Orleans Saints, der in den Debatten selbst eine Art Kehrtwende machte und sich erst als Verteidiger der amerikanischen Flagge ausgab, sich dann aber eindeutig auf Seiten von BLM positionierte. Dazu kommen solche Beispiele, dass der Motorsportverband Nascar (auch eher ein Ort des traditionelleren Amerikas) bei seinen Veranstaltungen nun die Konföderiertenfahnen verbietet.2
Die Wucht und die Breite der derzeitigen Aktionen mag überraschend sein. Gerade im Bereich des Sports und insbesondere im Football kommt es hier aber möglicherweise zu verzögerten Effekten von früheren Protesten. Das „Kneeling“ des Footballspielers Colin Kaepernick während der Nationalhymne, ein Protest gegen Rassismus, war seinerzeit innerhalb der National Football League sehr umstritten und hatte ihm selbst massiv geschadet. Wenn sich jetzt aber auch Leute wie Brees auf die Seite von BLM schlagen, muss dies vor dem Hintergrund der damaligen Protestaktionen gesehen werden und kann nun umso massivere Folgen haben.
Viele Formen des derzeitigen Protests sind bereits bekannt. Viel spielt sich auf den Social Media-Plattformen ab, vieles hat den Charakter dessen, was von außen schnell „rein symbolisch“ genannt (etwa am #BlackoutTuesday das Posten schwarzer Felder auf Instagram) oder als „clicktivism“ geringschätzt wird. Die aktionistische Spezifik, zugleich die begrenzte Reichweite und Dauer solcher Kommunikation wird aber auch innerhalb des Protestlagers selbst schon mitreflektiert (man denke nur an Emma Watsons Hinweis „We need to rethink our ‘pics or it didn’t happen’ approach to activism“). Kaum jemand geht wohl noch davon aus, dass solche Aktionen allein ausreichen.
Umso bemerkenswerter war in dem Zusammenhang die Rede des amerikanischen Hip-Hop-Künstlers Killer Mike, der sehr konkret politisch denkt, dabei die Prozeduren des politischen Systems und seiner Partizipationsmöglichkeiten reflektiert und zugleich hoch emotional ist („We must plot, we must plan, we must strategize, we must organize, and mobilize!“).3 Killer Mike ist kein Neuling auf politischem Terrain; er hatte zuvor eng mit dem linken US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders zusammengearbeitet und für ihn schon Wahlkampf gemacht. Hier ergeben sich Nähen und konkrete Kooperationen mit politischen Akteur*innen, die vermutlich wichtig sind für konkrete politische Erfolge. So erinnerte die Washington Post-Journalistin Sonia Rao an Künstler wie Harry Belafonte,4 der sich sowohl in Hollywood dafür engagierte, die Situation Schwarzer Künstler*innen zu verbessern, aber auch in engem Kontakt mit John F. Kennedy stand und um dessen Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung warb.
Wo wir gerade bei Kennedy und Belafonte sind – bei aller Tagesaktualität spielen in den Protesten Historisierungen eine wichtige Rolle. Martin L. King wird aufgerufen, ebenso Angela Davis; „Fuck tha Police“ von NWA wird wieder häufiger gespielt und an Tupac Shakur erinnert.5 Killer Mikes Rap-Projekt „Run the Jewels“ veröffentlichte eben erst ein Album, aus dem der Titel dieses Textes stammt und das mitunter als Soundtrack der derzeitigen Proteste bezeichnet wird; nicht zuletzt deshalb, weil „Run the Jewels“ auf einem Song an Eric Garner erinnern, der 2014 auf ähnliche Weise wie George Floyd durch die Polizei getötet wurde und wie Floyd mit den Worten „I can’t breathe“ starb. Über all dies wird die „DNA des Landes“ dechiffriert, die eben von Beginn an durch eine „Rassenhierarchie“ (Jill Lepore) geprägt ist, über deren Legitimität gleichwohl aber buchstäblich von Beginn an gestritten wird.
Was wird all dies für Folgen haben? Einerseits sollte man die Gefolgschaft von Fans nicht überschätzen; nicht alles, was populäre Künstler*innen gerade kommunizieren, wird von ihren Anhänger*innen geteilt. Auch Popfans sind keine tumbe, passive Masse. (Texanische Verwandte von einem der Autoren, die bis dahin glühende Anhänger der Dallas Cowboys waren, beendeten seinerzeit schlagartig ihre Liason mit dem Football, als auch nur zaghafte Solidarität in der NFL mit Kaepernick erkennbar wurde.)
Andererseits jedoch könnte man sich fragen, ob die sich ausdehnenden Solidarisierungen die Basis oder die zivilgesellschaftlich-diskursive Grundlage für eine ‚neue soziale Bewegung’ liefern. Erstens könnte dies über eine Verfestigung der noch existierenden Strukturen der Bürgerrechtsbewegung laufen, die seit einigen Jahren vor allem Schwarz und feministisch ist, was auf eine Intensivierung und Verfestigung der Black Community hinausliefe, also Aktivitäten, wie sie auch Killer Mike fordert. Zweitens müsste dies indirekt (oder auch direkt) gestützt werden durch eine zumindest diskursive Bereitschaft der Weißen Gesellschaft, sich den Rassismus als ihr eigenes strukturelles Problem vorzulegen.
Die relative Verbindung beider Faktoren könnte dann etwas bewirken, wenn die Makro-Dimensionen von a) realem strukturellen Rassismus und b) diskursiv erzeugter ‚Legitimation’ der Rassismus-Diagnosen und die systematische Skandalisierung von Polizeieinsätzen quasi auf einer Meso-Ebene von sozialen Bewegung oder der Institution Polizei zu ‚realen’ sozial wirksamen Ansatzpunkten führen würde. Aber eben: Dies funktioniert vermutlich nicht punktuell, sondern nur, wenn sich so etwas wie eine neue soziale Bewegung formiert, die dann etwa – als Beginn – tatsächlich Polizeireformen durchsetzt.
Hierfür bräuchte es vermutlich aber noch stärkere und markantere Schlüsselfiguren.6 Der Protest und die Solidarität sind sehr breit, vielleicht aber eben auch zu breit statt prägnant. Strukturell wirksame und medial sichtbare Akteur*innen, eben Schlüsselfiguren, machen solche Proteste dann oft effektiver und zugleich dauerhafter. Auch hierfür bräuchte es wohl eine noch engere Allianz von Politik und Pop. Also tatsächlich Kooperationen und Programme, die gemeinsam entwickelt und personell verkörpert werden.
Colin Kaepernick könnte eine solche Schlüsselfigur sein. Zur Erinnerung: Nachdem er 2016 als Reaktion auf einen neuerlichen Fall polizeilicher Gewalt gegen Schwarze US-Amerikaner das rituelle Absingen der Nationalhymne verweigerte und stattdessen niederkniete, evozierte das heftige Debatten und war sicherlich auch ein Grund dafür, dass Kaepernick seit 2017 ohne NFL-Vertrag ist. Ganz vorn bei den Anfeindungen war seinerzeit Präsident Trump („Get that son of a bitch off the pitch“), der dieser Tage aber eine Änderung seiner Position andeutete.7 In eine ähnliche Richtung ging auch ein Statement vom Comissioner der NFL.8
Auch wenn beide hier eher Indikatoren als Akteure sind, dann ist diese überraschende Wende in Bezug auf Kaepernicks Geste vielleicht ein Beleg für die wachsende Breite, Vertiefung und ressourcenverbindende Kraft der Bewegung – und dafür, dass sie nicht mehr so einfach ignoriert oder beleidigt werden kann. Nimmt man alles zusammen, dann könnte sich im Moment ein Raum nicht vorhersehbarer Möglichkeiten öffnen.
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1 Das Zitat ist aus dem Song „goonies vs. E.T.“ von Run The Jewels aktuellem Album „RTJ4“ und eine Anspielung auf den Song von Gil-Scott Heron „The Revolution will not be televised“ aus dem Jahr 1970.
2 www.cnbc.com/2020/06/10/nascar-bans-confederate-flag-at-all-events-and-properties.html
4 www.washingtonpost.com/arts-entertainment/2020/06/11/celebrities-black-lives-matter-movement/
5 www.jungewelt.de/artikel/379864.hiphop-das-crack-der-gesellscha!.html
6 Vgl. Alexander Leistner, Die Selbststabilisierung sozialer Bewegungen: Das analytische und theoretische Potential des Schlüsselfigurenansatzes. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen (4/2013), S. 14-23.